Panama Stadt

Während unser Flugzeug im Landeanflug ist, schieße ich aufgeregt Fotos – das Meer scheint vor dem Hintergrund schwarzer Bergsilhouetten landeinwärts zu fließen – einen braunen Fluss hinauf, in den grünen Djungel.
Sobald wir aussteigen trift eine Welle feuchtwarmer Luft unsere Gesichter; die Aufregung kribbelt mir in den Fingerspitzen- die Gerüche sind anders (eine Mischung aus klimatisierter Luft und Schweiß). Ich könnte Luftsprünge machen, dem Gewicht des Rucksacks auf meinen Schultern zum Trotz. Adam und ich haben uns entschlossen, mit nichts außer unserem Handgepäck in die weite Welt zu reisen: jeweils ein Rucksack und meine rote Kunstlederhandtasche. Ich werde bald lernen, dass wir trotzdem noch zu viel Zeug mit uns rumschleppen. Die Grenzkontrolle scheint vertraut – Fingerabdrücke, schau nicht zu müde fürs Foto, welche Lebensmittel führen Sie mit sich? – ich hätte nicht gedacht, dass mich Zentralamerika so an die Staaten erinnert.
Letze Woche hatten wir jeweils mit unserer eigenen Form von Panik zu kämpfen. Ich tat mir schwer, mein warmes Nest aus Freunden und Familie zurückzulassen – warum weggehen, dachte ich, wenn wir hier doch glücklich sind? Ist es wirklich besser, die Welt zu erkunden, als starke, enge Beziehungen zu entwickeln? Meiner besten Freundin dabei zuzusehen, wie sie an der Journalistenschule zu neuen Höhen aufschwingt? Die ersten Schritte meines Neffen miterleben, das erste schwere Wort (Bar-be-lies), die ersten Zähnchen? Adam hatte (glaube ich) ähnliche Zweifel, obwohl er seinen großen Sprung ins Unbekannte schon mit den Umzug nach Deutschland vor zwei Jahren hinter sich gebracht hatte. Er machte sich Sorgen um die Reise selbst, was, wenn wir losziehen und uns nur langweilen? Was, wenn wir nicht dafür geschaffen sind ? Was, wenn ich Babel gezwungen habe ihr zu Hause zu verlassen und wir werden nur unglücklich? (Er hat mich natürlich zu rein garnichts gezwungen. Aber das Wohl des jeweils anderen macht uns oft mehr Sorgen als unser eigenes.)
Um unsere Unsicherheit ein bisschen zu dämpfen, hat Adam uns für die ersten drei Nächte in Panama Stadt ein Hotel gebucht; wir nehmen ein Taxi von Flughafen weil uns das Bussystem überfordert. Ich bin froh, dass wir uns dafür entscheiden und kann doch das Gefühl nicht abschütteln, dass wir ganz falsch anfangen: sollten wir nicht eigentlich in die Stadt trampen oder, wenn es nicht anders geht, am Flughafen schlafen? Während ich es mir auf dem Rücksitz unseres klimatisierten Autos gemütlich mache, beschließe ich, dass wir noch genügend Gelegenheit für Abenteuer haben werden. Für den Moment ist es schön, ein verwöhnter Tourist zu sein.
Ciudad de Panama
Am nächsten Morgen machen wir uns auf die Suche nach einem Frühstück. Zu unserer Enttäuschung finden wir kaum einen Straßenhändler, nur endlose Reihen aus Amerikanischen Fastfoodketten: Wendy’s, Subways, Burger King bis an den Horizont nichts anderes. Die Stadt ist menschenleer und voller Autos. Taxis Hupen unermüdlich, um unsere Aufmerksamkeit zu erregen (es scheint, als ob man hier kein Taxi ruft, sondern die Taxis ihre Fahrgäste), links und rechts türmen sich die Wolkenkratzer, Fußgängerwege sind eine Seltenheit. Mir ist zu heiß und ich bin (irrational) enttäuscht. Ich hoffe ständig, dass wir um eine Ecke biegen und den Charme der Stadt entdecken: eine buntes Viertel vielleicht oder einen lebendigen Markt, doch das Gefühl durchs graue, klebrige, laute Nichts zu waden lässt sich nicht abschütteln. Nach einigen Stunden geben wir den Versuch auf die Stadt zu Fuß zu erkunden und wagen und erneut an die Busse. Wir stellen schnell fest, dass an der Bushaltestelle keine Ticketautomaten stehen (von einer Karte der Routen oder gar einem Fahrplan ganz zu schweigen) und dass auch der Busfahrer die „tarjeta metro“ nicht verkaufen kann. Glücklicherweise hilft uns eine Dame im Bus und lässt uns ihre benutzen – wir sind wohl nicht die ersten Touristen, die sich mit den Bussen schwer tun.

Wir schlagen uns zu Casco Viejo durch, Panamas Altstadt. Die Architektur hier ist wesentlich ansprechender – alte Kolonialgebäude und die saubersten Straßen Zentralamerikas, doch selbst diese Touristenhochburg scheint seltsam still. Wir erkunden die Souvenirläden, machen in einem Café Halt für leckere Fruchtsmoothies und bestaunen die wunderschönen Kirchen des Viertels. Von viele der Gebäude aus Kolonialzeiten haben nur die Fassaden überlebt, andere wurden komplett restauriert und stehen als luxuriöse Villen neben ihren heruntergekommenen Nachbarn. Das Ergebnis ist eine herrliche Gegenüberstellung der lang vergangenen Geschichte spanischer Kolonialisierung und ihrer Fruchtbarmachung um die Stadt für begehrte, wirtschaftsantreibende Touristen attraktiver zu machen.

Alles wird anders, als wir die Avenida Central finden: hier hatte sich die gesamte Stadtbevölkerung also versteckt! In der Fußgängerzone wimmelt es von Menschen – Obststände die Ananasse und Papayas verkaufen, Geschäfte, die die Aufmerksamkeit potentieller Kunden mit lauter Musik erregen wollen (Despacito ist überall), Straßenhändler die von Flipflops zu Klappmessern alles mögliche feilbieten. Die Seitenstraßen prangen mit bunten Graffiti und wir haben endlich das Gefühl unser Abenteuer gefunden zu haben.
Es ist eine Erleichterung, ein bisschen Charakter in der sonst so Faden Metropole zu sehen, ein bisschen Lebendigkeit im Kontrast zu den Beton- und Glastürmen des Finanzviertels oder zu der klinischen Sauberkeit von Casco Viejo. Glücklich mischen wir uns in die Menge, bummeln durch Regale voller bunter Sandalen, billiger Tshirts und Strandspielzeug. Auf dem Heimweg finden wir endlich eine Ubahnstation, wo die ÖNV-Karte aus Plastik verkauft wird- der Schlüssel zum fantastischen Nahverkehrssystem der Stadt. Mit 35 Cent pro Fahrt schlägt die Ubahn Taxifahrten mit Leichtigkeit und wir fühlen uns schon mehr wie Weltreisende statt hilflose Touristen.
