Hiroshima, oder: Wie ich lernte die Bombe zu hassen

Hiroshima, oder: Wie ich lernte die Bombe zu hassen

Hiroshima ist eine faszinierende Stadt, denn obwohl sie von den Vereinigten Staaten von der Landkarte gestrichen wurde und ihrem unfassbarem Leid zum Trotz, hat sie sich als lebhaft, freundlich, einladend wieder aufgebaut. Niemand außer Nagasaki versteht was Atomwaffen wirklich bedeuten besser als Hiroshima, und in Zeiten wachsender Unsicherheit, in denen diese Waffen sich in Orten wie Nordkorea ausbreiten, bleibt Hiroshima entschlossen in seinem Urteil, dass ihre Existenz nicht gerechtfertigt werden kann und wir alles Menschenmögliche tun müssen, um sie endgültig zu eliminieren.

Wir haben Hiroshima wegen seiner Geschichte besucht – um so gut wir konnten zu sehen was passiert ist und wie die Stadt sich wiederbelebt hat. Hiroshima wird oft dafür kritisiert, nicht so interessant zu sein wie Kyoto mit seinen tausenden Tempeln oder Tokio mit endlosen Orten, die es zu erkunden gilt, aber ich finde, dass das ein ungerechtes Urteil ist. Es ist ein wirklich schöner Ort, den ich gerne wieder besuchen würde – und euch würde ich es auch empfehlen.

Das Friedensdenkmal der Kinder

Unser erster Tag war also dem Memorial Peace Park gewidmet, dem Hiroshima Friedensmuseum und den nun berühmten Ruinen, die als Atombomben Dom bekannt sind. Das Museum hat hervorragende Arbeit darin geleistet, die Geschichte der Atomwaffen zu erklären, wie es zu ihrer Entwicklung kam, die Einschätzungen ob sie genutzt werden sollten oder nicht (aus der Sicht der Vereinigten Staaten), die Folgen in Hiroshima, sowie das Wettrüsten und die daraus erfolgende Verbreitung von Atomwaffen. Im Eingangsbereich sind mehrere Vor-der-Bombe-Panoramafotos ausgestellt, auf denen Hiroshima, wenn man nicht genau auf die japanischen Schilder achtet, dem San Francisco oder Los Angeles der 1940er zum Verwechseln ähnlich sieht, mit seinen eng gebauten,  hölzernen Häusern und Straßenbahnen. Gleich im nächsten Raum sieht man die Szenerie nach der Bombe, während man in den Schrecken des Geschehens eingetaucht wird. Die gesamte Landschaft ausradiert und nur Ruinen verbleiben. Gleich, welche Meinung man haben mag, ob es die richtige Entscheidung war oder nicht (ich denke nicht und will es auch nicht groß diskutieren) – der Anblick sorgt für Demut. Die Meisten unter uns haben von der  vernichtenden Gewalt dieser Waffen gelesen, doch das Museum war in der Lage, sie uns fühlen zu lassen.

Es gab natürlich Bilder, aber es wurden auch Übersichten und Dioramen verwendet, um zu erklären wie weitgreifend und mächtig die Zerstörung war. Der Ort, an dem man steht und die Ausstellung betrachtet war nahe dem Hypozentrum – doch nach einem Blick auf die Karte wurde mir bald klar, dass sogar unser Hostel zerstört worden wäre genau wie der Bahnhof, der eine 25-minütige Tramfahrt entfernt ist.

Im nächsten Zimmer werden Zeitzeugenberichte auf einem Fernseher abgespielt. Die meisten Videos wurden  Jahre nach dem Bombenabwurf gedreht, sind aber nichtsdestotrotz tief bewegend. Eine Frau beschreibt, wie sie ihre zwei Kinder und ihren Ehemann verlor. Eine andere erzählt von dreizehn Familienmitgliedern, die der Bombe zum Opfer gefallen sind. Das waren keine Soldaten oder Politiker, sondern ganz normale Menschen. Sie beschreiben, wie sie ihren Morgenroutinen im Büro nachgingen oder ihren Laden aufschlossen. Sie wussten nicht, was auf sie zukam – es gab keine Warnung. Sie hätten du oder ich sein können.

Es ist leicht, sich in der Politik hinter der Entscheidung zur Bombardierung Hiroshimas zu verlieren. Ich habe gelesen, dass Japan niemals die Waffen niedergelegt haben würde und Experten überzeugt waren, dass es eine halbe Million amerikanischer und noch wesentlich mehr japanischer Leben kosten würde, in das Land einzufallen. Im Gegensatz dazu habe ich jedoch auch gelesen, dass Japan bereits bereit war aufzugeben und mit der Sowjetunion an einer Kapitulation arbeitete. Eines ist jedoch gewiss: die USA hatten andere Gründe neben dem Kriegsende, um die Bombe abzuwerfen. Der erste war, den Einfluss der Sowjetunion einzuschränken und eine Aufteilung Japans a la Deutschland und Korea zu verhindern. Der zweite Grund war, dass US Politiker fanden, sie müssten die Waffen nutzen, um die hohen Kosten ihrer Entwicklung vor der amerikanischen Öffentlichkeit rechtfertigen zu können. Das war eine der verstörenderen Erkenntnisse, die ich in diesem Museumsbesuch gewonnen habe. Ich fand es auch erstaunlich, dass Wissenschaftler sich sowohl für als auch gegen die Entwicklung  und Verwendung von Atomwaffen ausgesprochen haben. Einerseits unterschrieb Albert Einstein, sowie viele andere anerkannte Physiker einen Brief, der sich für die Erforschung einsetzte, bevor die USA überhaupt in den Krieg eingetreten war – aus Angst vor dem, was die Deutschen tun würden, wenn sie Atomwaffen zuerst in die Hände bekämen. Andererseits fürchteten viele Wissenschaftler, dass der Bombenabwurf die Glaubwürdigkeit der Vereinigten Staaten zerschlagen und ein Wettrüsten erschaffen würde – was sich auch erfüllte. Die Welt erhielt den Kalten Krieg und Stellvertreterkriege für ein halbes Jahrhundert, sowie die greifbare Möglichkeit dass wir (immer noch) je nach Laune unserer Staatsoberhäupter jederzeit  alle sterben können. 

Der Atombomben-Dom

Allem voran macht das Hiroshima Museum dies zu seinem springenden Punkt: Solange wir nicht zusammenarbeiten, um diese Waffen endgültig abzuschaffen, könnte all dies wieder passieren. Zwei Uhren stehen am Eingang des Museums. Eine zeigt die Zahl der Tage seit dem letzten Atombombenanschlag (Nagasaki: 26,373 Tage), die andere die Zahl der Tage seit dem letzten Test (Nordkorea: 50 Tage). Die Vorstellung, wie leicht der Frieden, den wir nun als selbstverständlich ansehen, zerbrechen könnte, ist beängstigend.



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