Seoul

Südkorea! Vor nur wenigen Monaten hatten wir beschlossen, dieses Land zu überspringen. Aber das war natürlich genau zu der Zeit, als Trump und Kim Jong-un auf Twitter Drohungen umher warfen wie Konfetti und eine Atomkatastrophe so unmittelbar bevorzustehen schien, man hätte meinen können es wäre 1962. Jetzt (einen Monat später?) sollte es aber ok sein, oder? Und überhaupt wurde es zunehmend unangenehmer in Japan mit seinem Novemberwetter und Taifunen und da wir uns entschieden hatten, unsere Jacken in den Staaten zu lassen (wir fahren eh nur in warme Länder!…nicht) freuten wir uns auf ein bisschen Sonnenschein.

Da es ein recht spontaner Abstecher war, hatte ich mich vorab nicht groß über das Land informiert – umso schöner war die Überraschung, als wir die Stadt als saubere, lebhafte Megapolis mit einer Menge Charme vorfanden. Seoul rühmt sich nicht nur mit einem, sondern gleich fünf Palästen, zahllosen Nachtmärkten und futuristischer Architektur, die mit moderner Kunst, wie einem Meer aus LED-Rosen, noch mehr hervorgehoben wird.

Wir lernten, dass Korea sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter japanischer Besetzung befand, eine Zeit, in der die koreanische Kultur stark an den Rand gedrängt wurde: der berühmteste Palast der Stadt, Gyeongbokgung, wurde systematisch zerstört, um Raum für eine Messe zu machen. Heute ist der neu erbaute Palast eine riesen Touristenattraktion, wo Südkoreaner dazu ermutigt werden, traditionelle Gewänder (Hanbok) zu mieten und auf seinem riesigen, wunderschönen Schlossgelände Fotos zu machen.



Nachdem wir so viel Wissen alleine durchs Rumlaufen erworben hatten, wollten wir noch ein bisschen tiefer gehen und statteten der Koreanischen Kriegsgedenkstätte einen Besuch ab – ein Museum, dass auf TripAdvisor in hohen Tönen für seinen Informationsgehalt und tiefe Einblicke in die Geschichte gelobt wird. Leider wurden wir enttäuscht. Statt einer Kriegsgedenkstätte fanden wir eine Verherrlichung “guter” Südkoreanischer Soldaten vor, die die “bösartigen” Nordkoreaner Invasoren abwehrten. Der Kontext des Kalten Krieges, amerikanische Wirtschaftsinteressen, von unterschiedlichen Forschungsmeinungen ganz zu schweigen wurden im besten Fall angedeutet, meistens jedoch gänzlich außen vor gelassen. Statt ruhiger historischer Analyse verwendete das Museum actionfilmartige Animationen, rot blitzende Lichter und eine Fülle von Adjektiven wie “heldenhaft, mutig, verzweifelter Kampf, ruhmreicher Sieg, etc.” um den Süden zu beschreiben, während der Norden mit Bezeichnungen wie “bösartig, hinterhältig, aggressiv” versehen wurde. Was mich so störte war nicht etwa, dass das Museum so stark emotionalisiert war – Geschichte ist emotional, die Erfahrung des Einzelnen kann verheerend, verzweifelt und auch mutig oder glorreich sein – doch hatten diese Behauptungen wenig Substanz und wurden kaum mit Primärquellen belegt. Sie wirkten hohl und propagandistisch, weil sie nicht etwa von den Schicksalen der Bevölkerung berichteten, sondern stattdessen auf zweifelhafte Animationen zurückgegriffen und mit endlosen Schaukästen voller Waffen unterlegt wurde – was der Komplexität des Krieges in keiner Weise gerecht wird.
Außerdem beherbergte das Museum eine “Kunstausstellung”, die vom Südkoreanischen Militär gesponsert wird: schockierend offensichtliche Propaganda. Während jedes Land auf die eine oder andere Weise Propaganda betreibt, mag Südkorea dem Krieg noch zu nahe sein (er ist eigentlich noch nicht vorbei) um eine objektivere Gedenkstätte zu haben. In dem Park, der das Museum umgibt, sind Statuen von Soldaten versäht, eine davon ein Südkoreanischer Soldat, der seinen reumütigen jüngeren Bruder in die Arme schließt, eine weitere eine Uhr, die eines Tages die Zeit der Wiedervereinigung anzeigen wird. Überall in der Stadt sahen wir Demonstrationen: Demonstrationen gegen Trump und seine prahlerischen Twitterdrohungen, Demonstrationen gegen diese Demonstrationen, die argumentierten dass seine Unterstützung dringend benötigter Schutz sei, Demonstrationen gegen THAAD (Terminal High Altitude Area Defense), Demonstrationen gegen das Militär an sich. Es mag zu viel verlangt sein, Objektivität zu fordern, wenn der Konflikt an sich noch nicht gelöst wurde und der Gegner noch immer mit den Waffen rasselt.
Um zu etwas Erfreulicherem überzugehen: das Essen war ein Genuß! Wir mampften uns durch Nachtmärkte, schlemmten frittierte Dumplings (Maultaschen nicht unähnlich), Kimbap und alle Varianten von Shrimps und gebratenem Hähnchen, die das Herz nur begehren könnte. Wenn wir in einem Restaurant aßen, gab es immer helfende Hände, die uns erklärten, wie man die Speisen richtig isst – einmal zeigte mir eine ältere Kellnerin, wie man Fleisch und Knoblauch in ein Salatblatt wickelt und fütterte mich prompt. Die Einheimischen waren wahnsinnig nett und gastfreundlich, wir wollten nicht so schnell weiterziehen. Doch es galt sich mit unseren Freunden Hanna und Michel in Taipei treffen (worauf ich mich seit Monaten freute). Südkorea war ein weiterer Beweis dafür, dass man sich von den Nachrichten nicht abschrecken lassen sollte ein Land zu besuchen – man könnte sonst so viel verpassen.
